Autor: FSC Kanada| 2019

Vorreiter für indigene Menschenrechte

Der neue FSC-Waldstandard in Kanada

Kanada ist Heimat von acht großen Waldtypen. Mit knapp 350 Mio. ha nationaler Waldfläche nimmt der boreale Nadelwald, der gleichzeitig als die „nördlichste Waldform der Erde“ zählt, einen beträchtlichen Anteil davon ein.

Die Bedeutung von Wald in Kanada

Ein einzigartiges und äußerst sensibles Ökosystem, das die Eigenschaften hat, Kohlenstoff über lange Zeit zu speichern, wertvolle Güter wie Wasser und Luft reinzuhalten und das Klima zu regulieren. Die negativen Auswirkungen von Aktivitäten wie Ölsandabbau für die Ölgewinnung, Bergbau unterschiedlichste Rohstoffe, die Nutzung von Wasserkraft sowie nicht nachhaltiger Holzeinschlag im großen Stil können das Ökosystem Wald erheblich stören oder sogar dauerhaft verändern. Besonders für die indigene Bevölkerung, deren Heimat und Lebensgrundlage die Wälder sind, ist das geringe gesetzliche Mitbestimmungsrecht ein Problem. Der neue FSC-Standard gibt den indigenen Gruppen jedoch eine Stimme bei wichtigen Entscheidungen in ihren Wäldern.

In ganz Kanada wurden umfangreiche Gesetze und Regularien verabschiedet, um die Holzentnahme und den Handel von Holz steuern zu können. Des Weiteren ist das Land in der Lage Holzeinschlag in der Waldwirtschaft zu überwachen und Gesetze effektiv durchzusetzen, was dazu führt, dass der nationale illegale Einschlag und Handel erheblich reduziert werden konnte.

Einen beträchtlichen Anteil bei der Umsetzung dieser Gesetze hat der FSC Kanada geleistet, wodurch er zu dem verlässlichsten und glaubwürdigsten Standard in Kanada für Forstwirtschaft wurde. Bis dato wurden 50 Mio. Hektar Wald in Kanada FSC-zertifiziert. Von dem neuen Standard wird erwartet, dass dieser den aktuellen Zustand der FSC-zertifizierten Wälder, der Tierwelt im Wald und der Menschen, die im und vom Wald leben, noch weiter verbessert. Um den FSC Standard zu überarbeiten, wurden Experten bei unterschiedlichen Themen an der Entwicklung beteiligt und der Inhalt mit Erfahrungswerten der Praxis abgeglichen und ergänzt. Der neue Standard verbindet die vier bereits existierenden regionalen Standards und nutzt die internationalen Prinzipien und Kriterien, sowie die Indikatoren des FSC International als Rahmenbedingungen.

Vertreter der Umwelt-, Sozial-, und Wirtschaftskammer, sowie der indigenen Bevölkerung, haben bei der Entwicklung des Standards sechs Themenbereiche ins Zentrum der Arbeit gestellt.
Der neue Standard wird ab dem 1. Januar 2020 aktiv, danach haben Zertifikatsinhaber und Zertifizierer ein Jahr Zeit, diesen zu implementieren. Nach Ablauf der 12 Monate muss er vollständig von Waldbewirtschaftern angewendet werden und die Audits müssen nach den neuen Regeln stattgefunden haben.

Um den bestehenden Standard weiterentwickeln zu können, war es notwendig, sich den Wald-relevanten Problemen intensiv anzunehmen. Dafür wurden einzelne Aspekte oder sogar ganze Indikatoren modifiziert und ergänzt. Besonders wichtig war die Einbeziehung von vier zentralen Problembereichen: Die sinkenden Populationszahlen des Waldkaribus, die angemessene Berücksichtigung der Rechte der indigenen Bevölkerung, der Arbeitskräfte und die Gleichstellung der Geschlechter sowie der noch nicht ausreichende Schutz der Umwelt und ein umfangreiches Landschaftsmanagement.

Das Leben der Waldkaribus

Waldkaribus leben im Gegensatz zu anderen Karibus dauerhaft im Wald. Sie benötigen große zusammenhängende Waldflächen, die nur geringe Störungen aufweisen dürfen. Sie sind eine Schirmart und aufgrund ihrer Anfälligkeit für Störungen in ihrem Lebensraum, kann man anhand des Populationszustandes erkennen, wie ungestört oder vital ein Wald ist. Die größte Bedrohung für Waldkaribus stellen Fragmentierung, Degradation und kompletter Verlust des Lebensraums dar, was zusätzlich zu einem erhöhten Vorkommen von Raubtieren führen kann. Die sinkende Populationszahl des Waldkaribus ist besorgniserregend, da diese sehr stark auf Störungen in ihrem Lebensraum reagieren.

Die Streifgebiete der Karibus sind größer als einzelne Bewirtschaftungseinheiten, deshalb wird versucht, diese Flächen abzugleichen. Ein neuer Indikator wurde entwickelt, der sich speziell auf die Problematik in Bezug auf das Waldkaribu konzentriert. Der Zustand der Population wird nun als Indikator für die mögliche Art der Waldbewirtschaftung angesehen. Um diese Planung zum Abschluss zu bringen, wurde das Wissen der indigenen Bevölkerung, der aktuellen Wissenschaft und aktuelle wissenschaftliche Ansätze wie beispielsweise die „Canada Federal Recovery Strategy“ hinzugezogen.

Doch was ist anders am neuen Standard?

Anforderungen und Erwartungen an eine nachhaltige Waldwirtschaft wurden wesentlich genauer ausformuliert, um Missverständnisse und Unklarheiten bei der Umsetzung zu vermeiden. Sowohl in der Entwicklung als auch im Standard selbst wurden die indigene Bevölkerung und Stakeholder öffentlicher und privater Wälder miteinbezogen. Beim Thema Management von Waldflächen und Schutzgebieten müssen sowohl ein koordinierter, einheitlicherer und umfassenderer Ansatz als auch erweiterte und angepasste Analysen verfolgt werden. Auch globale Anforderungen in Bezug auf die lokale Bevölkerung, die Arbeitskräfte, den Umgang mit Korruption, Bestechung und Gleichberechtigung der Geschlechter sind nun relevante Themen im neuen Standard. Die Problematik des Klimawandels rückt ebenfalls in den Vordergrund. Forstbetrieben ist es nun erlaubt, Anpassungsstrategien bei der Bewirtschaftung ihrer Wälder durchzuführen, um eine Langzeit-Resilienz der Wälder zu gewährleisten. Optional können Zertifikatsinhaber nun auch Ökosystemdienstleistungen inkludieren und bekommen Werkzeuge mit an die Hand, um sie zu identifizieren, zu managen und zu auditieren.
Auch seitens internationaler Umweltschutzorganisationen gab es anerkennende Worte für den neuen Standard. Shane Moffartt von Greenpeace Kanada kommentiert:
„In the middle of a global wildlife crisis, the announcement of a new FSC standard in Canada offers the logging industry a clear choice: be part of the problem or be part of the solution.”
Sein Appell an die Holzindustrie: „Seid Teil des Problems oder Teil der Lösung- Besonders das Mitbestimmungsrecht für indigene Völker, der Schutz für bedrohte Tier- und Pflanzenarten und neue Möglichkeiten für lokale Gemeinschaften erfolgte durch die Unterstützung von Greenpeace Kanada.​

Vier Kammern: Indigene Bevölkerung in Kammersystem integriert

James Snider, Vizepräsident von Science, Research and Innovation, WWF Canada, merkt an, dass um eine Lösung zu finden, gute Führungsqualitäten benötigt werden. Auch aus Sicht der indigenen Bevölkerung gab es großen Zuspruch. David Flood, Vorstand der Kammer für die indigene Bevölkerung betont, dass alle vier Kammern gleichstark berücksichtigt werden. Er vermutete große Akzeptanz seitens der Zertifikatsinhaber und Auditoren und eine positive Entwicklung des Marktes, da alle Menschen, die von Kanadas Wäldern abhängig sind, berücksichtigt werden.
Der neue Standard hat den Stein im Wald ins Rollen gebracht und zeigt anschaulich, dass es durchaus möglich ist, zentrale Probleme in den Fokus zu bringen und somit Schritt für Schritt Hindernisse auf dem Weg zu einer nachhaltigen Waldwirtschaft aus dem Weg zu räumen. Der FSC Kanada scheint mit seinem neuen Standard andere Zertifikate mit großem Abstand zurückgelassen zu haben und hat gute Chancen, bei erfolgreicher Implementierung auch in Zukunft als leuchtendes Beispiel voranzugehen: für „Wälder für immer für Alle“.