16 Mai, 2024

Verabschiedet sich Hessen von der verantwortungsvollen Waldwirtschaft?

CDU und SPD fordern Aussetzung der FSC-Zertifizierung im gesamten Staatswald

Mit großem Bedauern und Unverständnis nimmt FSC Deutschland den Beschluss des hessischen Landtags zur Kenntnis, die FSC-Zertifizierung des Staatswaldes vorerst zu beenden. In ihrem Antrag im Landtag forderten die beiden Regierungsfraktionen das Aussetzen der FSC-Zertifizierung für den gesamten Staatswald bis März 2028. Faktisch bedeutet dies den Ausstieg aus der FSC-Zertifizierung zu einem Zeitpunkt, wo es aufgrund eines schlechten Waldzustandes besonders auf behutsames Vorgehen im Wald ankommt. „Gerade mit Blick auf den diese Woche veröffentlichten Waldzustandsbericht bewerten wir das Beenden der Zertifizierung als Rückschritt und vertane Chance, die bereits erreichten positiven Wirkungen für einen stabilen Wald in Hessen weiter fortzusetzen“, sagt Elmar Seizinger, Leiter des FSC-Waldbereichs. Die im Antrag genannten Gründe könne man nicht nachvollziehen, denn die Auswertung der Berichte der jährlichen unabhängigen Auditoren zeigten deutlich, dass die Zertifizierung zu wald-positiven Anpassungen der Waldbewirtschaftungen geführt haben, so Seizinger.

In der Begründung für den Ausstieg aus der Zertifizierung wird auf Vorgänge innerhalb des Vorstandes von FSC Deutschland, verwiesen. Kandidaten für die Sozialkammer haben seit der letzten Wahl 2023 keine Mehrheit in der FSC-Mitgliedschaft gefunden und sind in dem sonst zwischen Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialorganisationen paritätisch besetzten Gremium aktuell nicht vertreten. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf den aktuellen Standard für die Zertifizierung der Wälder nach FSC. Der Deutsche FSC-Waldstandard wurde unter Beteiligung der Sozialkammer inklusive der IG BAU und RAL bereits bis 2018 entwickelt und ist seither Grundlage für die unabhängigen Prüfungen in Forstbetrieben mit FSC-Zertifikat.

Zu den dadurch erwirkten Verbesserungen im hessischen Staatsforst zählt unter anderem die erhöhte Sicherheit am Arbeitsplatz und die Verringerung von Arbeitsunfällen. Durch das von FSC eingeforderte aktive Management des Wildbestands wurde die natürliche Waldverjüngung gefördert und damit die Klimaresilienz der hessischen Wälder. Dazu tragen auch die im Rahmen der Zertifizierung verbesserten Totholz- und Biotopbaumkonzepte sowie die Etablierung sogenannter Naturwaldentwicklungsflächen, auf denen keine forstlichen Eingriffe erfolgen, bei. FSC ist weltweit das mit Abstand bekannteste Kennzeichen, von Händlern gefragt und vor allem auch bei den Verbrauchern hoch anerkannt. Sich selbst dieses positiv besetzten Aushängeschilds zu berauben, könnte auch für die Zusammenarbeit mit Naturschutzverbänden und für die Akzeptanz der Waldbewirtschaftung bei den Bürger:innen zum Nachteil werden, gibt FSC zu bedenken.

Umweltverbände und Gewerkschaften sind dementsprechend entsetzt: „Wer möchte denn ein Auto ohne TÜV-Plakette kaufen, nur weil der Verkäufer verspricht, alles wäre schon in Ordnung?“, sagt Andrea Pfäfflin, Waldexpertin im Landesvorstand des NABU in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit BUND, HGON und IG-BAU Hessen. Das Vertrauensverhältnis zwischen Naturschutz und Forst könne nur bestehen bleiben, wenn bis 2028 und darüber hinaus die Einhaltung der hohen Standards extern kontrolliert werde. Eine verlässliche und transparente Prüfung des Forstbetriebs bietet nur FSC.

Es steht zu befürchten, dass manche den FSC-Ausstieg als Befreiungsschlag empfinden. Vor allem auf den in den letzten Jahren großflächig entstandenen, besonders sensiblen Kahlflächen in Hessen könnte dies der Fall sein. Ohne die FSC-Zertifizierung dürfen diese flächig befahren, der Boden bearbeitet und großflächig nicht-heimische Baumarten gepflanzt werden. Natur- und Bodenschutz könnten in ihrer Relevanz gegenüber wirtschaftlichen Überlegungen an Bedeutung verlieren.

Der Antrag kann auf der Seite des Hessischen Landtags unter TOP 14 gelesen und heruntergeladen werden.

Annika Burger

Faktencheck

Von FSC verifizierte Aussagen aus den Medien zur angestrebten Aussetzung des FSC-Zertifikats durch die hessische Landesregierung

Stand: 21.05.2024

Behauptung:

Faktencheck:

FSC erklärt:

„Aufgrund der Auflagen und Einschränkungen, die der FSC-Standard im Staatswald mit sich bringe, wird laut Jung eine klimafeste Wiederbewaldung erschwert. Als Beispiel führten sowohl der Minister als auch der forstpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Sebastian Müller, die Douglasie an, die als fremdländisch gelte und bei einer Aufforstung nur zu maximal 20 Prozent auf einer Kalamitätsfläche zugepflanzt werden dürfe. „Das richtet sich nicht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern alleine nach der Frage: heimisch oder fremdländisch“, führte Jung weiter aus und konstatierte: „Das kann doch bei Baumarten, die schon so lange hier angepflanzt werden, nicht richtig sein.“ (Rhein-Main-Zeitung vom 21.05.2024) FALSCHE FÄHRTE
Eine zukunftsfeste, verantwortungsvolle Wiederbewaldung muss die Kosten der Klima- und der Biodiversitätskrise ganzheitlich in den Blick nehmen. Nicht-heimische Baumarten bergen ein ökologisches Risiko für die heimische Artenvielfalt und die Stabilität der Waldökosysteme. Die mangelnde Erfahrung mit als „klimafest“ angepriesenen nicht-heimischen Baumarten verstärkt das Risiko einer großflächigen Einbringung zusätzlich. Angesichts der enormen Herausforderungen durch die Erderhitzung ist aus FSC-Sicht die Anpassung an die sich verändernden Gegebenheiten ebenfalls zentral. Deshalb sind bis zu 20 Prozent nicht-heimischer Baumarten in Wiederaufforstungsprozessen erlaubt. FSC legt den Fokus vor allem auf gemischte und strukturierte Wälder statt auf großflächige Reinbestände. Denn die Auswahl der richtigen Baumart ist nicht alleine in der Lage, Wälder resistenter gegen die Folgen der Klimakrise zu machen. Vielmehr ist ein integriertes Konzept zum Totholz- und Biotopmanagement, zur natürlichen Waldverjüngung, zum Bodenschutz und vor allem mehr Vielfalt im Wald nötig. Dieses bietet der deutsche FSC-Standard, indem er die Waldbewirtschaftenden dabei unterstützt, ihren Wald „klimafit“ zu machen. Hier finden Sie mehr Infos zum FSC-Konzept Klimastabile Wälder
„Hessen habe bereits ohne FSC einen sehr hohen Standard im Staatswald“ (Frankfurter Rundschau vom 20.05.2024) FALSCHE FÄHRTE
Der FSC-Standard ist ein Instrument zur kontinuierlichen Kontrolle und Verbesserung der verantwortungsvollen Waldbewirtschaftungspraxis. Die Zertifizierung des hessischen Staatswaldes hat zahlreiche Verbesserungen erwirkt, darunter eine Verringerung der Arbeitsunfälle, eine geförderter natürliche Waldverjüngung, verbesserte Totholz- und Biotopbaumkonzepte und die Etablierung von Naturwaldentwicklungsflächen. FSC hat alle relevanten Waldthemen im Blick und ermöglicht den zertifizierten Waldbewirtschaftenden, darunter auch HessenForst, die Weiterentwicklung ihrer forstlichen Praxis anhand des FSC-Regelwerks, das einen einzigartigen Ausgleich zwischen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Perspektiven schafft. Die glaubwürdige Ausweisung des FSC-Zertifikats für verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung durch unabhängige Zertifizierungsunternehmen ist entscheidend, um das Vertrauensverhältnis zwischen Forst, Umwelt- und Arbeitsschutz zu gewährleisten.
 „[D]er forstpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Alexander Hofmann, […] erinnerte daran, dass mehrere Versuche des Landes, eine Veränderung der FSC-Standards zu erwirken, keinen Fortschritt gebracht hätten. Bei den Gremien des FSC sei keine Kompromissbereitschaft erkennbar gewesen.“ (Rhein-Main-Zeitung vom 21.05.2024) FALSCHE FÄHRTE
FSC ist eine Diskussionsplattform für unterschiedliche Interessengruppen und er-möglicht demokratische Beteiligungs- und Entscheidungsfindungsprozesse. Hes-senForst ist Mitglied bei FSC und hat damit die Möglichkeit, die anderen Mitglieder zu überzeugen. Wenn sich keine Mehrheiten für Vorschläge finden, dann waren die Vorschlänge anscheinend nicht überzeugend.
„Laut [FDP-Fraktionschefin im hessischen Landtag] Knell koste die Zertifizierung derzeit rund 1,2 Millionen Euro pro Jahr, die bislang direkt an „private Lobbyorganisationen“ geflossen seien, die hinter dem FSC stünden.“ (Rhein-Main-Zeitung vom 21.05.2024) FALSCH
Die jährlichen Auditkosten liegen bei unter 15.000 Euro, etwa 1.500 Euro gehen jährlich an FSC International um das FSC-System zu finanzieren. Ca. 300 Euro fließen an FSC Deutschland e.V. Die Mitgliedschaft bei FSC Deutschland ist freiwillig und kostet Hessenforst 1.850 Euro jährlich.
Der Landesrechnungshof sprach 2019 von jährlichen Ertragseinbußen von mindestens zehn Millionen Euro und jährlichen Kosten für Kontrollen von 1,2 Millionen. Ministerin Hinz versuchte damals, die Bedenken mit der Aussicht auf 3,5 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen zu zerstreuen, die man durch die bessere Vermarktung des FSC-Holzes erziele. Laut Forstamtsleiter Arnold gab es keinen spürbaren derartigen Effekt.“ (Darmstädter Echo vom 21.05.2024) FALSCHE FÄHRTE
Die Aussagen zu den Ertragseinbußen sind nicht nachvollziehbar. Die häufig als Ursache angeführte Stilllegung von zehn Prozent der Waldfläche wurde unabhängig von der Zertifizierung aus Naturschutzgründen beschlossen. Die Naturschutzleitlinie von HessenForst ist in vielen Bereichen deckungsgleich mit den FSC Anforderungen. Der Naturschuzkodex (Kapitel 2.2 dieser Leitlinie) wurde von der gesamten Betriebsleitung von HessenForst unterschrieben. Aus diesem Grund wird auch nach Beendigung der FSC-Zertifizierung von HessenForst auf diesen Flächen kein Holz genutzt werden. Fehlenden Mehreinnahmen resultieren vor allem aus der Praxis von HessenForst, alle Holzrechnungen als FSC-zertifiziert zu deklarieren, anstatt für FSC-Holz Mehrpreise anzusetzen.

 

 

  Autoren: Julia Springmann, Wolfram Kotzurek, FSC Deutschland