25.11.2022
Stellungnahme zu stillgelegten FSC-Zertifikaten in Belarus
Nach heute veröffentlichten Berichten auf der Website von DER SPIEGEL und durch die Organisation Earthsight bezieht FSC Stellung zur Situation in ehemals zertifizierten Betrieben in Belarus. Die Vorwürfe in Bezug auf die soziale Situation und mögliche Umweltschäden durch Forstwirtschaft nimmt FSC sehr ernst. Folter, jegliche Form der Zwangsarbeit oder die Zerstörung von geschützten Urwaldgebieten sind nicht mit Werten und Regeln des FSC vereinbar.
Am 8. März 2022 hat FSC entschieden alle Zertifikate in Belarus zu beenden. Die Beimischung von Holz oder Folgeprodukten aus Belarus in FSC-Lieferketten, wurde ebenfalls untersagt. Dem Voraus gingen ausführliche Untersuchungen durch ASI. Aufgrund der sozialen Situation sowie der Behinderung der Arbeit unabhängiger Organisationen im Land, folgte daraufhin die Entscheidung von FSC, sich komplett aus Belarus zurückzuziehen. Die vorhergehenden Untersuchen zeigten, dass eine unabhängige Zertifizierung unmöglich geworden war: FSC-Akteure wurden ohne Gerichtsverhandlung inhaftiert, Zertifizierer konnten keine unabhängigen Entscheidungen mehr treffen, Kernarbeitsnormen wurden in den Betrieben nicht mehr eingehalten und eine Stakeholderbeteiligung gemäß FSC-Normen war nicht mehr möglich, da alle unabhängigen Umwelt NGOs verboten worden waren (Details siehe Folgetext).
Arbeitnehmerrechte stehen im Zentrum des FSC
Der Schutz der Menschen- und Arbeitnehmerrechte ist zentraler Bestandteil der FSC-Prinzipien und Kriterien. Ziel ist es, allen Menschen die gleichen Bedingungen zu bieten, damit sie ihre Menschenrechte in vollem Umfang wahrnehmen und zur wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung beitragen und davon profitieren können.
FSC verwendet in seinen Grundsätzen und Kriterien nicht den weitgefassten Begriff „Menschenrechte“. Als Organisation, die sich auf Waldwirtschaft konzentriert, geht sie speziell auf die Rechte der Arbeitnehmenden, traditionelle Gewohnheitsrechte, die Rechte lokaler Gemeinschaften und die Rechte der indigenen Völker ein. Diese vier Spezifikationen von Menschenrechtskonzepten sind die wichtigsten, die durch forstwirtschaftliche Maßnahmen beeinträchtigt werden können. Sie sind deswegen die Hauptbereiche, in denen FSC mit seinen Standards und Überprüfungsmechanismen etwas bewirken kann.
Inhaber eines FSC-Zertifikats müssen die Richtline zur Assoziierung mit FSC (engl. Policy for Association, PfA) unterzeichnen, diese beinhaltet auch die Verpflichtung Achtung der Menschenrechte. FSC-zertifizierte Chain-of-Custody-Unternehmen (CoC, deutsch: Produktkette) verpflichten sich ebenfalls, weder direkt noch indirekt an der Verletzung von angestammten, auf Traditionen beruhenden Rechten sowie Menschenrechten in der Forstwirtschaft beteiligt zu sein. Zu dieser Verpflichtung zählt auch, nicht gegen die Kernkonventionen der ILO [Internationale Arbeitsorganisation] zu verstoßen.
Zu Menschenrechtsverletzungen in Belarus
FSC hat sich bei der Zertifizierung in Belarus für einen Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteuren des Landes eingesetzt, denen es durch den Zertifizierungsprozess möglich war, sich an Diskussionen über soziale und ökologische Verbesserungen in der Waldbewirtschaftung zu beteiligen.
Nach den Wahlen im Jahr 2020 registrierte FSC mit wachsender Besorgnis, dass soziale Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Belarus wiederholt unter Druck gerieten. Dies galt Insbesondere im Hinblick auf die Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die sich mit den grundlegenden Arbeitnehmerrechten befassen. Die einschlägigen Schutzmaßnahmen der ILO-Kernübereinkommen sind ein wesentlicher Bestandteil des FSC-Zertifizierungssystems, sowohl für den FSC-Standard der Waldbewirtschaftung als auch, seit September 2021, für Inhaber von CoC-Zertifikaten.
2020 meldete die Kontroll- und Qualitätssicherungsorganisation Assurance Services International (ASI), welche für die Kontrolle der FSC-Zertifizierungsorganisationen zuständig ist, erstmalig Zweifel, dass einschlägige FSC-Standards in Belarus durchgesetzt werden können. Daraufhin wurde eine unabhängige Untersuchung eingeleitet, um dies zu verifizieren. Im Anschluss an diese Untersuchung gab ASI am 4. März 2022 bekannt, dass die Organisation nicht mehr in der Lage sei, die Einhaltung sozialer Standards des FSC auf der Grundlage der Kernarbeitsnormen der ILO glaubwürdig zu bewerten. Der ASI Bericht hält dabei fest: In Belarus seien, Sicherheit oder Lebensunterhalt der an der FSC-Zertifizierung beteiligten Personen auf inakzeptabel Weise gefährdet.
Nach den Protesten 2020, waren in Belarus die meisten unabhängigen Umwelt-Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aufgelöst worden. FSC war dadurch nicht mehr in der Lage, die verschiedenen Interessengruppen (Stakeholder) des Landes an einen Tisch zu bringen, um Regeln für eine verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung zu entwickeln und diese zu fördern. Grundlage für die Arbeit von FSC sind Beteiligung und der geleichberechtige Ausgleich zwischen Interessengruppen aus den Bereichen Ökologie, Soziales und Wirtschaft.
Daher wurden alle Zertifikate in Belarus mit Stichtag 8. April 2022 beendet. Mehr Informationen hier: https://fsc.org/en/newscentre/all-belarussian-fsc-certificates-will-have-to-be-terminated
FSC-zertifizierte Strafkolonien
FSC war zutiefst besorgt, als ab 2020 Berichte über Menschenrechtsverletzungen infolge von Gewalt und Repression in Belarus öffentlich wurden.
Bevor ASI bekannt gab, dass es nicht in der Lage sei, die Einhaltung der sozialen Anforderungen von FSC zu bewerten (siehe oben), was zur Beendigung aller FSC-Zertifikate in dem Land führte, war die Präsenz von FSC in Belarus aufgrund der Instabilität und der Risiken für unsere Aktivitäten bereits rückläufig. Die Zertifizierungsstellen hatten FSC-Zertifikate der Strafkolonien in Belarus bereits im Jahr 2021 wegen erheblicher Bedenken bzgl. Menschenrechtsverletzungen und wegen der Sicherheitsrisiken für das Zertifizierungspersonal gekündigt. Bis dahin war bei den jährlichen Audits der Strafkolonien kein Verstoß gegen FSC-Standards festgestellt worden.
Zwangsarbeit ist kein generelles Problem aller Strafkolonien, daher können sie eine FSC-Zertifizierung beantragen. Gemäß der nationalen Gesetzgebung und der allgemeinen Praxis in Belarus vor 2020/2021, wurde die Arbeit der Gefangenen bezahlt und die Gefangenen wurden nicht zur Arbeit gezwungen. Folglich hatten die Auditoren hier keinen Anlass die Zertifizierung zu verweigern.
Zum Holzeinschlag in Nationalparks
Der Belovezhskaya Pushcha National Park war FM-zertifiziert (Forest Management, deutsch: Waldwirtschaft): GPU NP Belovezhskaya Pushcha NC-FM/COC-021570. Dieser Nationalpark umfasst sowohl streng geschützte Gebiete als auch Wirtschaftswälder, die unter Einhaltung der genehmigten Managementpläne bewirtschaftet werden. Aus diesen Teilen des Nationalparks konnte von Unternehmen regulär FSC-Holz bezogen werden.
Laut dem öffentlich zugänglichen Bericht der Zertifizierungsstelle über die Waldbewirtschaftungseinheit (FM) aus dem Jahr 2021 wurden keine Verstöße gegen die FSC-Standards durch den Forstbetrieb festgestellt.
In welchem Umfang Unternehmen in Belarus Holz aus dem Nationalpark Belovezhskaya bezogen haben kann FSC derzeit nicht sagen. FSC hat keinen Zugang zu den privaten Geschäftsvorgängen der Unternehmen hat. Auf diese Informationen kann nur bei Untersuchungen mit Verdacht auf Verstöße gegen die Systemintegrität des FSC zugegriffen werden. Auf Grundlage der Informationen, die zu dem Zeitpunkt vorlagen, als das Unternehmen noch mit FSC-zertifiziert war, gab es keinen Grund, eine solche Untersuchung einzuleiten.
Die FSC Organisationsstruktur
FSC ist für sein balanciertes Governance-System bekannt, in dem Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsakteure in einem ausgewogenen Multi-Stakeholder-Ansatz zusammenarbeiten, um eine verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung zu definieren und die daraus entstehenden Produkte zu kontrollieren. Darüber hinaus verlangt FSC für indigene Völker und lokale Gemeinschaften, die (potenziell) von Forstarbeiten zertifizierter Betriebe betroffen sind, die Chance einer sinnvollen Beteiligung durch freie, vorherige und informierte Zustimmung (free, prior, and informed consent).
Die Einbeziehung von Interessengruppen ist ein Schlüsselelement für Zertifikatsinhaber, um langfristige Beziehungen zu lokalen Gemeinschaften und anderen Interessengruppen aufzubauen und die sozialen und ökologischen Auswirkungen ihrer Forstwirtschaft zu überwachen. Während der Audits müssen die Auditoren alle interessierten Parteien, einschließlich Gewerkschaften, kontaktieren, die Informationen über die Rechte der Arbeitnehmer haben könnten, um Diskriminierung zu vermeiden.
Darüber hinaus sind Gewerkschaften und Organisationen, die sich für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzen, häufig Mitglieder der FSC-Sozialkammer und vertreten ihre Interessen in der Dreikammer-Entscheidungsstruktur des FSC. Die internationalen Mitglieder des FSC kommen aus allen Teilen der Welt und repräsentieren den globalen Süden und den globalen Norden.
Autor: original FSC International / editiert und übersetzt durch FSC Deutschland