Autor: FSC Deutschland | 24.02.2022

Interview: FSC Deutschland in 2022

Ausblick und Reflexion mit dem Vorstandsvorsitzenden Dirk Riestenpatt

 

2021 ging auf politischer Ebene für FSC Deutschland positiv zu Ende, eine FSC- oder Naturland-Zertifizierung der bundeseigenen Wälder ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Orientierung an einer naturnahen und klimaresilienten Waldbewirtschaftung sowie die Berücksichtigung von Ökosystemleistungen im Wald scheinen ein klares Signal der Neuorientierung zu sein. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen, wo steht FSC heute in Deutschland?
Sollte die neue Bundesregierung ihre Pläne für den Wald tatsächlich so umsetzen, ist das wirklich ein klare Willensbekundung zur Veränderung von Forstwirtschaft in Deutschland. Die im Koalitionsvertrag formulierten Ziele für Wald stimmen sehr weitgehend mit dem deutschen FSC-Standard überein – eine eindrucksvolle Bestätigung für die Leistungen von FSC-zertifizierten Betrieben und ihren Beschäftigten. Damit ist FSC in Deutschland im Zentrum der gesellschaftlichen Debatte angekommen. Konsequenterweise würde ich mir nun ein klares Signal des Aufbruchs für die FSC-Zertifizierung in Deutschland, auch über die Umsetzung des FSCs in Bundeswäldern hinaus, wünschen. Ob es dazu kommt, wird jedoch nicht am Kabinettstisch in Berlin alleine entschieden. Es kommt darauf an, dass auch private Waldbesitzende, zusätzliche Kommunen und weitere Landesregierungen den wirklichen Mehrwehrt erkennen, der in einer Transformation von Forstwirtschaft liegt. Die FSC-Zertifizierung ist hierfür ein geeignetes Werkzeug. Sie bietet die Chance, Waldwirtschaft im gesellschaftlichen Dialog zu organisieren und dabei den Wald fit zu machen, gerade auch mit Blick auf die Herausforderungen des Klimawandels für den Wald. Wobei hier das Wort Klima sowohl im Kontext der Erderwärmung als auch im Kontext des gesellschaftlichen Diskurses zu verstehen ist. Aus meiner täglichen beruflichen Praxis heraus würde ich sagen, dass ein FSC Forstbetrieb für die Zukunft häufig besser gerüstet ist als ohne Zertifikat. Die Gemeinschaftsaufgabe ist nun, dass die Notwendigkeit für eine Veränderung von Waldwirtschaft bei den Entscheidungsträgern im Wald ankommt. Dazu gehört die Überzeugung, das Richtige zu tun und die FSC-Standards auch im Geiste unserer Organisation interpretieren zu wollen. Damit gemeint ist die Bereitstellung von Holz und Ökosystemleistungen aus dem Wald auf Grundlage von ökologischer Stabilität und sozialer Verantwortung.

Und wie blicken Sie hierbei auf Förderungsinstrumente der öffentlichen Hand?
Für mich besteht hier eine klare Forderung, dass öffentliche Gelder nur dann im Wald verankert werden dürfen, wenn damit eine zukunftsorientierte stabilisierende Waldwirtschaft organisiert wird. Hierfür liegen einige unterschiedliche Meinungen und Vorschläge auf dem Tisch. Aus FSC-Sicht können nur Aktivitäten im Wald mit öffentlichem Geld gefördert werden, die auf die Stabilisierung von Wäldern hinarbeiten. Ein „weiter so wie bisher“ z.B. mit dem Anbau von bekanntermaßen labilen Baumarten auf falschen Standorten ist nicht akzeptabel, genauso wenig wie beispielsweise eine unzureichende Jagd mit entsprechenden Folgen für den Wald. Waldbewirtschaftung muss Resilienz von Waldökosystemen fördern und unterstützen. Dazu zählt beispielsweise eine stabile Baumartenmischung mit einem hohen Anteil an heimischen angepassten Arten und Herkünften, eine schonende und extensive Befahrung, der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel, eine anspruchsvolle waldangepasste Jagd und vieles mehr. Neben der inhaltlichen Qualifizierung ist aber auch ein belastbares Nachweissystem zur Umsetzung der geförderten Inhalte erforderlich. Ich würde sagen, die betriebsbezogene, jährliche Auditierung von Forstbetrieben mit einem öffentlich zugänglichen Zertifizierungsbericht wie dies im FSC-System vorgegeben ist, wäre schon mal eine gute Eingangsgröße für diesen Nachweis einer dauerhaften öffentlichen Förderung von Waldbesitzenden.

Was sind 2021 aus Ihrer Sicht herausragende FSC-Momente gewesen?
Im Jahr 2021 hat FSC einen neuen Meilenstein in seiner Geschichte hinzugefügt. Seit September gelten die „FSC-Core-Labor-Requirements“, also die FSC-Kernarbeitsnormen im Bereich der Produktkette (COC) für alle FSC-Betriebe weltweit. Bisher hatte der FSC seine sozialen Mindestanforderungen für Arbeitnehmerrechte nur im Bereich der Forstbetriebe verbindlich überprüft. Jetzt müssen auch Unternehmen in der Produktkette belegen, dass sie Kernarbeitsnormen einhalten. Bedenkt man die globalen Warenströme vieler Produkte, so erkennt man schnell, welche Reichweite diese neue Regelung im Bereich der Verarbeitungs- und Handelsketten hat. Neue Gesetze, wie das Lieferkettengesetz in Deutschland, und Bemühungen anderer Länder in diesem Bereich zeigen, dass FSC hier sehr zeitgemäß agiert.
Die Vereinbarung auf der Weltklimakonferenz COP26 im November haben eindrücklich gezeigt, wie sehr FSC zu den Vorreiterorganisationen einer nachhaltigen Entwicklung für die Welt zählt. Zahlreiche Staaten haben hier die besondere Bedeutung von indigenen Völkern für den Erhalt und die Zukunft natürlicher Wälder hervorgehoben und versprochen, viel Geld und Energie in die Förderung indigener Gemeinschaften zu investieren. Bei FSC sind indigene Völker bereits seit der Gründung vor fast 30 Jahren mit dabei. Die ernsthafte Beteiligung und Wahrung indigener Interessen gehört zur DNS des FSC. Das macht mich stolz und ich bin sehr froh, dass dies inzwischen allgemein anerkannt wird.
Außerdem steht seit letztem Herbst das erste FSC-zertifizierte Haus Deutschlands. Buggi52 heißt das achtgeschossige Wohn- und Geschäftshaus im Freiburger Stadtteil Weingarten. Klimagerechtes Bauen, insbesondere im urbanen Raum, ist für die Städte der Zukunft eine der Schlüsselherausforderungen, dazu hat die mutige Projektgruppe um Buggi52 einen tollen Beitrag geleistet.
Ein Meilenstein war sicher auch unsere klare Positionierung gegen fortgesetzte Ignoranz bei der öffentlichen Beschaffung und Behördenversagen bei Holz aus illegalen oder äußerst fragwürdigen Herkünften. Hier haben wir zusammen mit Partnern auf die wahrscheinliche Verwendung von Raubholz aus Myanmar auf der Gorch Fock aufmerksam gemacht. Im Aktionsbündnis haben wir gemeinsam mit den Umweltschutzorganisationen ROBIN WOOD, WWF, Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Rettet den Regenwald ein Zeichen gegen die Zerstörung wertvoller Naturwälder und für eine globale Verantwortung gesetzt. Es ist aus meiner Sicht nicht hinnehmbar, dass wir uns in Deutschland um gute forstliche Standards streiten und uns für den Wald engagieren, während Steuermillionen in zwielichtigen Lieferketten versickern.

Mitte Mai findet die FSC Vollversammlung statt, welche Themen werden hier im Vordergrund stehen?
Wir wollen uns mit den Inhalten des FSC über die Präsentation aktueller Fälle beschäftigen. Es wird darum gehen aufzuzeigen, wie es gelingt, FSC-Anforderungen im Wald sowie in der Produktkette umzusetzen. Dabei werden wir unweigerlich auf die darin bestehenden Herausforderungen für Zertifikatshalter sowie für die Politik stoßen. Der Vorstand wünscht sich eine öffentliche Diskussion, wie Waldwirtschaft und die Verarbeitung von Produkten in der aktuell sehr komplexen Welt möglich ist und wo die Herausforderungen in der Umsetzung liegen. Im Zentrum steht dabei, die FSC-Zertifizierung zu einem Kennzeichen zu entwickeln, das stabile und gesunde Waldökosysteme auszeichnet, die in der Lage sind, Holz für diese und kommende Generationen bereitzustellen und darüber hinaus noch viele weitere Leistungen erfüllen kann.

Wo sehen Sie weitere Herausforderungen und Meilensteine für den FSC in 2022?
Hier in Deutschland sehe ich die Herausforderung, das gute Konzept der Verifizierung von Öko-systemleistungen im Wald durch FSC breiter zu kommunizieren. Wir wollen hierbei gezielt interessierte Investoren mit zertifizierten Waldbesitzenden zusammenbringen, um eine Anerkennung von Ökosystemleistungen als zusätzliche Einnahmequelle neben dem klassischen Holzverkauf zu schaffen. Damit können Waldbesitzende mit ihrem Wald mehr Gemeinschaftsnutzen erfüllen und idealerweise die Folgen der Klimakrise abfedern. Auch die verstärkte Einbringung in politische Debatten um Instrumente für eine Verbesserung von Waldbewirtschaftung wird eine wichtige Rolle spielen.

Auch international ist einiges in Bewegung. Für die General Assembly (GA) im Oktober letzten Jahres hatten Sie einen Antrag eingebracht, der einen FSC-Prozess für die Intensivierung von Forstwirtschaft innerhalb des FSCs sehr grundsätzlich in Frage stellt (Sustainable Intensificati-on, SI). Diesen Antrag haben Sie im Herbst zurückgenommen. Wie geht es hier weiter, soll das Thema während des zweiten Teils dieses Jahr wieder aufgenommen werden?
Das Thema SI wird weiter in der Diskussion bleiben und als Abstimmungsantrag auf der Hauptversammlung im Herbst aufgerufen werden. FSC IC muss auch weiterhin gedrängt werden, Klarheit zu den Prozessen, Inhalten, Zielen und erwarteten Ergebnissen im Zusammenhang mit SI zu schaffen. Das ist seit Beginn des Prozesses im Dez. 2018 nur sehr unzureichend gelungen. In diesem Zusammenhang kann dann auch eine Entscheidung zur Formulierung des Antrages erfolgen.
Mit Blick auf die aktuell laufenden Anhörungen auf Ebene der EU für entwaldungsfreie Lieferketten gibt es zudem noch erheblichen Handlungsbedarf. Einerseits würde es darum gehen, dass klarer wird, welche Rolle der FSC im Rahmen des aktuellen Verordnungsentwurfes haben sollte. Hier sehe ich erheblichen Nachbesserungsbedarf im aktuellen Entwurf, FSC als Werkzeug für Unternehmer zu ermöglichen. Gleichzeitig sehe ich, dass auch FSC selbst an der einen oder anderen Frage Nachbesserungsbedarf hat, so z.B. bei der Einführung technischer Lösungen bei der Frage der Rückverfolgbarkeit von Produktinformationen über die FSC-Lieferkette. Dies müssen deutsche FSC-Mitglieder auch auf der internationalen Bühne im FSC deutlich machen.

2021 fand die Digitalkonferenz „Waldzertifizierung auf dem Prüfstand – Wie verlässlich ist der FSC?“ statt. Während der 6-teiligen Onlineveranstaltung stellte sich FSC der Kritik an seinem Zertifizierungssystem weltweit. Auch Generealdirektor Kim Carstensen nannte während seiner Eröffnungsrede der Generalversammlung Glaubhaftigkeit, Integrität und Transparenz als Schlüsselelemente für den Erfolg. Kommt FSC International diesen Ansprüchen derzeit nach?
Meine Erwartung ist, dass FSC International Impulse aus der Konferenz für eine kritische Reflexion zu den Schwachstellen und Stärken des FSC als dauerhaften Prozess in die Organisation ein-fließen lässt. Nur so kann das Vertrauen von Mitgliedern und Kund:innen in das Versprechen des FSC, einen Beitrag zu verantwortungsvoller Waldbewirtschaftung in der Welt zu leisten, auf-rechterhalten werden. Hierzu bedarf es zuallererst einer konsequenten Umsetzung der eigenen Regelwerke – zu häufig erscheinen die Reaktionen von FSC bei Regelverstößen zögerlich und unzureichend. Hier sehe ich die größten Chancen, das Vertrauen in die Organisation und das Label zu stärken.
Der Prozess, bis FSC in seinen weltweiten Standards wirklich neue Technologien und Regeln zur Absicherung der Integrität der Zertifikate etabliert hat, ist langwierig. Es gibt viele verheißungsvolle Projekte die nach derzeitigem Stand wirklich substanziell dazu beitragen können, FSC-Zertifizierung verlässlicher und besser zu machen, diese müssen dann aber auch in absehbarer Zeit in die verbindliche Anwendung kommen. Wenn FSC das Thema Innovation bei der Zertifizierung nicht ernst nimmt und hier nicht deutlicher in die konkrete Umsetzung kommt, dann wird dies erst das Ansehen von FSC erodieren und dann das ganze System der freiwilligen Zertifizierung nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Der Wald wäre hier mit seinen Bewohner:innen und Artenvielfalt der größte Verlierer.