Herzlich willkommen im FSC-zertifizierten Kinveachy Forest! Strahlender Sonnenschein durchdringt das Flusstal, doch die Luft ist trotzdem kühl. Wir sind froh, dass wir unsere dicken Jacken eingepackt haben. Will Anderson und Ewan Archer, die Verwalter der Güter von Seafield und Strathspey im Norden Schottlands, werden uns heute begleiten. An einem Tag wie heute kann man sich kaum ein schöneres Büro vorstellen. Der Kinveachy Forest umfasst etwa ein Fünftel der 23.000 Hektar großen Hochland-Ländereien, die uns umgeben. In dieser Landschaft finden sich alte Kiefernwälder, Waldplantagen, Heidemoore und ein Abschnitt des Dunlain, einem Nebenfluss des Speys. Es ist bestimmt nicht einfach, dieses Gebiet das ganze Jahr über bei Wind und Wetter zu bewirtschaften. Im Laufe der Jahrhunderte stark durch Menschen geprägt, reagiert die Natur hier sehr sensibel auf Veränderungen.

Nach Erstem Weltkrieg: So wenig Wälder wie noch nie in Schottland

Das Gut Strathspey beherbergt diverse Hochlandarten, wie Birkhühner und Berghasen. Außerdem finden sicher hier eine Vielzahl von Raubvögeln, darunter Bussarde, Steinadler und Wanderfalken. Nach dem Ersten Weltkrieg erreichte der Waldbestand in Schottland einen historischen Tiefstand. Dennoch können wir hier heute noch Reste eines natürlichen Waldes sehen, der von Waldkiefern dominiert wird. Viele Tierarten, unter anderem Kreuzschnäbel, Birkhühner und Auerhühner sind auf diesen Lebensraum angewiesen. Ein großer Teil der Fläche liegt innerhalb der Grenzen des Cairngorms-Nationalparks und mehr als 5.700 Hektar wurden als Gebiet von „besonderem wissenschaftlichen Interesse“ ausgewiesen. Außerdem gelten weite Teile als besondere Schutzgebiete. Diese Kennzeichnungen haben dazu geführt, dass sich die Bewirtschaftungsprioritäten verschoben haben. Ganz oben auf der Tagesordnung steht nun: messbare Verbesserungen für die biologische Vielfalt. Auf unserem Weg durch die Ländereien kommen wir an einem ehemaligen Jagdstand vorbei, der nun renoviert wird, um anderweitig genutzt zu werden − ein Beweis für die Verschiebung der Prioritäten.

© Seafield and Strathspey Estates

Auerhühner wieder vom Aussterben bedroht

Eine der am stärksten bedrohten Arten in diesem Gebiet ist das Auerhuhn, ein großes Waldhuhn. Nachdem es im 18. Jahrhundert in Schottland ausgerottet worden war, wurde es im 19. Jahrhundert wieder angesiedelt. Nun ist es erneut ernsthaft vom Aussterben in den schottischen Wäldern bedroht. In Strathspey, erzählt Will, gäbe es die größte Konzentration von Auerhuhn-Brutplätzen in Schottland. Dennoch geht die Population bis auf diese letzte Hochburg zurück. Als dafür verantwortliche Faktoren zählen laut dem jüngsten NatureScot-Bericht die Bedrohung durch Raubtiere und Einflüsse des Menschen. Will und Ewan bestätigen diese Beobachtungen. Sie erzählen uns, dass in den 24 Stunden vor unserem Besuch ein Auerhuhn von einem Fuchs getötet und ein Brutplatz absichtlich von einem Bürger gestört wurde. Da ein Großteil der britischen Tierwelt bedroht ist und viele Arten gesetzlich geschützt sind, kommt es vor, dass eine bedrohte Art mit einer anderen ums Überleben kämpfen muss. Ein Beispiel dafür ist der Baummarder, der wie das Auerhuhn im Vereinigten Königreich unter Schutz steht. In dieser Gegend Schottlands gedeiht er prächtig − was zum Teil auf seine Vorliebe für Auerhuhn-Eier zurückzuführen ist. Da andere Gebiete Englands ihre dezimierten Baummarderpopulationen durch Umsiedlungen wieder aufstocken, gibt es Hoffnung, dass vielleicht einige Marder in der Umgebung auf ihrem Weg in südlichere Gefilde unterstützt werden. In der Zwischenzeit geben Will, Ewan und der Rest des Teams ihr Bestes, um den bestehenden Lebensraum der Auerhühner zu verbessern. Sie informieren die Öffentlichkeit, brütende Vögel zu meiden und überwachen deren Lebensraum, indem sie nicht nur quantitative Daten, sondern auch ihre Beobachtungen über das Verhalten der Vögel aufzeichnen. Will erzählt, dass die Auerhuhn-Bestände in einem nahegelegenen Brutgebiet stabil sind oder sogar zunehmen. Überraschenderweise befindet sich dieses Gebiet, wie viele andere auch, in einer Plantage und nicht in einem natürlichen Wald.

Durchforstung ermöglicht Auerhühnern weiteren Lebensraum

Der hügelige Boden des Gebiets bietet den Vögeln hervorragende Verstecke. Darüber hinaus ist für die Hühner das Unterholz zum Schutz von Vorteil. Es entsteht durch die Durchforstung, also das Entfernen bestimmter Bäume, um anderen die Chance zu geben, zu gedeihen. Die Methode vervielfältigt die Lebensraumstruktur und schafft eine Mischung aus offenen Kronenbereichen, die das Wachstum des Unterholzes ermöglichen. Will und Ewan sind sich einig, dass es von entscheidender Bedeutung ist, den Wildtieren den Zugang zu allen Lebensräumen zu ermöglichen, die sie benötigen, um ihren Lebenszyklus erfolgreich abzuschließen. Die Größe der Landfläche und das Mosaik der Landschaften, die es bietet, ermöglicht ihnen Flexibilität und einen landschaftsbezogenen Ansatz bei der Bewirtschaftung. Einige Maßnahmen sind eher experimenteller Natur. Wie viele andere Vögel müssen Auerhühner Gastrolithen fressen − kleine Steine, die ihnen bei der Verdauung ihrer Nahrung helfen. Aus diesem Grund hat Ewan damit begonnen, Quarzsplitt an sichere Stellen für Auerhühner aufzuschütten, um sie davon abzuhalten, Splitt von viel befahrenen Wegen aufzusammeln.

© FSC UK

Tillhill-Gruppe arbeitet seit mehr als 20 Jahren nach dem FSC-Standard

Die Bewirtschaftenden des Waldes, die seit mehr als 20 Jahren über die Tillhill-Gruppe FSC-zertifiziert sind, betrachten die Anforderungen des FSC als Teil ihrer täglichen Arbeit. Die größten Veränderungen gab es bei der Buchführung, die jetzt mehr Kontinuität unter den Waldarbeitenden gewährleistet. Zusätzlich ist das Auditverfahren nützlich, weil es neue Perspektiven auf Probleme und Praktiken eröffnet und die Bewirtschaftenden ermutigt, ihre Ansätze zu hinterfragen. Diese ständige Überprüfung und Anpassung der abgesteckten Ziele sowie die Möglichkeit, die Nachfrage der Holzwerke nach zertifiziertem Holz zu befriedigen, beschreiben die Forstbetriebe als die wichtigsten Vorteile der Zertifizierung. Zusammen umfassen die Betriebe 10.800 zertifizierte Hektar und produzieren 25.000 Tonnen Holz pro Jahr. Wir halten in der Talsohle an und freuen uns, dass wir eine Vielzahl von Vögeln sehen. Der Anblick der für Schottland typischen Rothirsche bleibt uns leider verwehrt. Ein großer Teil der Arbeit des Waldstücks konzentriert sich auf das Wild-Management. Um die natürliche Waldverjüngung zu ermöglichen und ein Gleichgewicht der biologischen Vielfalt zu erreichen, kontrollieren die Arbeiterinnen und Arbeiter regelmäßig die Populationen des ansässigen Wilds.

Rotwild wird regelmäßig versetzt, um Wachstum und Verjüngung des Waldes zu ermöglichen

Die Landbewirtschaftenden schätzen das Rotwild als wichtigen Teil des Lebensraums, dennoch ist es für sie eine Herausforderung, die Population des Wilds auf ein angemessenes Niveau zu begrenzen. „Was sind die Probleme von zu viel Rotwild?“, fragen wir. Die Antwort: vor allem der Verbiss. Das Wild frisst frische, junge Triebe von Sprösslingen. Dies führt dazu, dass Bäume beschädigt werden, was Wachstum und Verjüngung verhindert. Wildschutzzäune könnten zwar eingesetzt werden, um die Tiere von gefährdeten Gebieten fernzuhalten, aber sie sind ein Problem für Auerhühner. Diese könnten sterben, wenn sie im Zaun stecken bleiben. Jede Handlung hat eine Auswirkung, alles ist miteinander verbunden. Daher werden die Zäune auf ein Minimum reduziert und für die Vögel durch eine Markierung deutlich sichtbar gemacht. Die Zäune des Rotwilds werden regelmäßig versetzt, um die Interaktion mit einem natürlichen Feind zu simulieren und Schäden durch Verbiss zu verringern. Oder zumindest fast ständig − in strengen Wintern, wenn das Wild in Waldgebieten Zuflucht sucht, darf es sich ausruhen. In manchen Jahren wurde sogar zugefüttert, um die Tiere vom Wald in seiner empfindlichen Verjüngungsphase fernzuhalten. Als wir uns dem Ende unserer Tour, dem Waldrand nähern, ändert sich die vorherrschende Baumart. Die Kiefer tritt gegenüber den langsam blätternden Birken und Espen in den Hintergrund. Ewan macht uns auf zwei besondere, große Espen aufmerksam. Eigentlich sind es gar nicht zwei einzelne, sondern ein Baum. Ein Baum, der durch den Bau einer Straße getrennt wurde. Der Anblick unterstreicht die immer wiederkehrenden Themen des Tages: schützenswerte Natur und menschlicher Eingriff.