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FSC in Staatswäldern: Wie die Landesforsten Rheinland-Pfalz den Wald für die Zukunft rüsten
Mehr als zehn Jahre ist der Staatsforstbetrieb des Landes Rheinland-Pfalz bereits nach dem deutschen FSC-Standard zertifiziert. Im Soonwald bei Bad Kreuznach trifft sich FSC Deutschland mit dem Leiter des Landesbetriebs Landesforsten Rheinland-Pfalz, Dr. Jens Jacob, und dem Forstamtsleiter Konrad Leicht für ein Gespräch über die Walbewirtschaftung im Angesicht des Klimawandels und FSC. Beide würden sich wieder für eine FSC-Zertifizierung entscheiden, benennen aber auch Schwächen des Systems.
Der Staatsforstbetrieb Rheinland-Pfalz ist im elften Jahr seiner FSC-Zertifizierung. Die naturnahe, verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung sei eine Selbstverständlichkeit in der täglichen Arbeit im Wald, erklärt Dr. Jens Jacob, Leiter des Landesbetriebs Landesforsten Rheinland-Pfalz. Die Entscheidung für die FSC-Zertifizierung fällte die rheinland-pfälzische Landesregierung 2011. Schlussendlich entschieden sich die Verantwortlichen für eine FSC-Gruppenzertifizierung. Die Gruppenleitung ist seit 2012 beim Landesbetrieb angesiedelt.
Aus seiner Erfahrung als Leiter der Landesforsten weiß Dr. Jens Jacob: Eine Waldzertifizierung ist keine Einbahnstraße. „Unsere Arbeit bekommt nicht automatisch mehr Glaubwürdigkeit, nur weil wir ein FSC-Audit durchlaufen haben“, so Jacob. „Wir erleben im öffentlichen Diskurs immer wieder die sehr intensiv und zum Teil sehr kontrovers geführte Debatte über die Frage: Was heißt es denn, den Wald nachhaltig zu bewirtschaften?“ Ein Zertifikat, hinter dem viele Interessengruppen stehen und in dem viele gesellschaftliche Milieus vertreten sind, sei eine hilfreiche Unterstützung in diesem Diskurs. „Damit können wir glaubwürdig dokumentieren und nachweisen, dass die Ansprüche, die wir an uns selbst haben, nämlich nachhaltiges Wirtschaften, auch eingelöst werden.“
Klimafolgenprävention mit dem FSC-Standard
Beim Gang durch den Soonwald läuft Forstamtsleiter Konrad Leicht etwa 20 Meter in ein mehrheitlich von Fichten bewachsenes Waldstück hinein und zeigt auf zwei kleine Eichentriebe, die entlang der Rückegasse aus dem Waldboden emporragen. „Die Eichen hier unten sind von Natur aus herangewachsen. Wir messen dieser Baumart insbesondere bei den klimatischen Veränderungen ein großes Potenzial zu“, berichtet Leicht. Im Hintergrund ist lautes Vogelgezwitscher zu hören, vielleicht auch Laute des Eichelhähers, der den Eichentrieb auf der Rückegasse zu verantworten hat.
Anlass des Waldbegangs ist der Rückblick auf die jahrelange FSC-Zertifizierung der Landesforsten. Sind die Wälder in Rheinland-Pfalz damit gut für die Herausforderungen des Klimawandels gerüstet? Forstamtsleiter Leicht erklärt anhand der sogenannten Klumpenpflanzung, wie die Waldentwicklung hin zu klimatoleranteren Mischwäldern eingeleitet wird. Diese Art der Baumpflanzung soll verhindern, dass bei einem Ausfall der alten Bäume aufgrund von Windwurf, Trockenheit oder Borkenkäferbefall Freiflächen entstehen.
„Wir bauen ein Gerüst in Form dieser punktuellen Pflanzung von etwa 20 bis 40 Buchensetzlingen auf. Buchen sind schattentolerant und können auch in geschlossenen Beständen mit nur wenig Lichteinfall wachsen. Wenn dann die älteren Fichten oben drüber ausfallen würde, bilden die Buchen direkt den Wald der Zukunft “, erklärt Konrad Leicht. „Mit den FSC-Regularien kommen wir damit nicht in Konflikt. Selbst wenn wir mit einer Gastbaumart statt der Buche ansetzen würden, würden wir aufgrund der Klumpenpflanzung nie den 20 Prozent-Grenzwert aus dem Standard überschreiten.“
Klimaresilientes Waldmanagement mit Holzproduktion zusammenbringen
Teil des Konzepts der verantwortungsvollen Waldbewirtschaftung im Soonwald ist die Prävention von Waldschäden in Folge der Klimaerhitzung. So heißt es im 2018 verabschiedeten Wertekompass der Landesforsten „Unser Ziel sind vielfältige, natürliche und lebendige Wälder, die als dynamische Ökosysteme Klimaentwicklungen abfedern können, ohne langfristig Schaden zu nehmen.“ Die Forstleute haben über die Jahre viel Erfahrung in der Vereinbarung von klimaresilientem Waldmanagement mit der Holzproduktion gesammelt.
„Der Wert, den wir in diesem Vorgehen sehen, liegt vor allem im Vorteil, die alten Bäume so lange wie möglich zu halten. Damit gewinnen wir Zeit, um mit der sogenannten Vorausverjüngung systematisch Folgewälder zu entwickeln, ohne Umwelteinwirkungen in Kauf nehmen zu müssen, wie wir sie auf der Freifläche durch Wind, Hitze, Wildzuzug hätten.“, erläutert Forstamtsleiter Leicht. „Pro Klumpen stellen wir uns eine Baumart im späteren Endbestand vor, die sich als Wertträger durch den Schutz der umliegenden Bäume qualifizieren kann.“ Für die Holzproduktion sei das Ziel eine gerade Schaftform, um möglichst dicke und astfreie Stammstücke erwachsen zu lassen. Dafür biete die Klumpenpflanzung die idealen Bedingungen.
FSC-Audit als betriebsinterner Vorteil
Die Flexibilität des FSC-Systems erlaubt solche waldbaulichen Maßnahmen zur Integration von Produktionszielen in die Entwicklung klimaresilienter Wälder, stellt aber auch klare Regeln in Bereichen wie der Rückegassenplanung oder der Einrichtung von Referenzflächen auf, die mit mehr Aufwand für naturnahe Waldbewirtschafter wie den Landesforsten Rheinland-Pfalz einhergehen. „Zusatzaufwand gab es vor allem in zwei Bereichen: Zum einen war dies die Ausweisung von 10 % holznutzungsfreier Betriebsfläche, die sich aus den Flächen des Biotopbaum- Alt- und Totholzkonzepts, der Ausweisung des Nationalparks im Hunsrück und der Einrichtung von Kernzonen des Biosphärenreservats Pfälzerwald im Staatswald zusammensetzen. Zum anderen geht mit dem FSC-System ein spürbarer administrativer Mehraufwand durch die Dokumentationspflichten einher“, berichtet Dr. Jens Jacob. „Gerade die damit verbundenen regelmäßigen Audits nutzen wir aber zugleich als systematisiertes Instrument des Qualitätsmanagements. Damit entfalten sie einen betriebsinternen Nutzen.“
Die regelmäßigen Kontrollen seien einerseits mit zusätzlichem personellem und sonstigem Aufwand verbunden, andererseits hätten sie auch zu einer verbesserten internen Routine und Kommunikation geführt. Zudem verspreche man sich vom verstärkten Einsatz digitaler Lösungen eine Einsparung des bürokratischen Aufwands, beispielsweise durch die digitale Speicherung von Rückegassenrouten und der Einführung von Online-Schulungen für Mitarbeitende. Forstliche Zertifizierungssysteme sind aus Sicht von Dr. Jacob der richtige Ansatz, um die Standards einer verantwortungsvollen forstwirtschaftlichen Praxis in einem Aushandlungsprozess der relevanten Akteure zu definieren. „Zertifizierungssysteme sind in der Lage, in Revisionsprozessen die gute fachliche Praxis weiterzuentwickeln. In einem Parlamentsgesetz, das langfristig notwendige gesetzliche Leitplanken festlegt, zugleich Detailfragen wie Rückegassenabstände festzulegen, würde ich dagegen für verfehlt halten. Wir brauchen die Möglichkeit, die Freiräume aber auch die Professionalität, um den Wald beobachten und reagieren zu können.“
Totholz bleibt in der Fläche
Zurück im Soonwald: Ein paar hundert Meter waldeinwärts zeigt Forstamtsleiter Leicht was passiert, wenn Trockenheit und Borkenkäfer zuschlagen. Auf der eingezäunten Fläche ist kaum noch ein Altbaum zu sehen, es ragen lediglich einige überwiegend abgestorbene Stämme ohne Geäst vom Boden auf. Beim genaueren Hinsehen sind doch ein paar vereinzelte Buchen erkennbar, aus einer Klumpenpflanzung vor dem Kalamitätsfall. Mittlerweile sind sie durch Birken ergänzt worden.
Den Rest, der zu sehen ist, hat die Natur selbst eingebracht: Eichen, Buchen, Fichten, Kiefern und sogar die eine oder andere Kastanie. Zusätzlich haben die Forstleute, wiederum im Wege von Klumpenpflanzungen, weitere Baumarten – etwa die Winterlinde – eingebracht, die hier mit Blick auf die Standortsveränderungen im Klimawandel als Ergänzung der Baumartenpalette zweckmäßig erscheinen.
Der Boden ist bedeckt von Feinreisig, das zusätzlich zu einigen die Fläche partiell einzäunenden Hordengattern einen mechanischen Schutz vor Wildtieren bietet. Gemeinsam mit einem integrierten Jagdkonzept erreichen die Forstleute mit einer schwerpunktmäßigen Bejagung einen gesunden Schalenwildtierbestand, sodass der Wald wachsen kann. An weniger durch Wildverbiss gefährdeten und damit weniger bejagten Waldorten können Wildarten wie Rehe und Rothirsche ihren natürlichen Lebensgewohnheiten nachgehen.
Zusätzlich hat das Forstamt dem deutschen FSC-Standard entsprechend ein Biotopbaum- und Totholzkonzept ausgearbeitet, um Arten, die von Biotop- und Totholz abhängen, einen dauerhaften Lebensraum zu bieten. Das in diesem Zusammenhang breit über die Betriebsfläche verteilte stehende und liegende Totholz verbessert die oberirdische Wasserspeicherung, wirft Schatten und ist Heimat für zahlreiche Vogel- und Insektenarten. „Auch hier versuchen wir, natürliche Prozesse weitestgehend zuzulassen und in das Waldmanagment nutzbringend zu integrieren“, merkt Dr. Jens Jacob an. „Genau das ist unser Verständnis naturnaher Waldbewirtschaftung.“
Vielfältiger Wald mindert Risiken
Und das aus gutem Grund: Die naturnahe, verantwortungsvolle Waldbewirtschaftung gemäß dem FSC-Standard erfordert zwar viel Geduld, um die von der Natur ausgebrachten Elemente bestmöglich in großem Umfang zu berücksichtigen. Gleichzeitig führten die diversen Baumarten aus unterschiedlich alten Wäldern aber dazu, dass das Risiko für Klimafolgenschäden beträchtlich sinkt. Forstamtsleiter Leicht drückt es so aus: „Wer streut, rutscht nicht. Mit dieser Art der Vorsorge sind wir denkbar gut für die Zukunft aufgestellt.“
Gerade im Hinblick auf die steigende Waldbrandgefahr ist wichtig, dass so viel Feuchtigkeit wie möglich im Wald bleibt. In der Fläche verbleibendes Totholz, das sich zu Humus zersetzt und somit Wasser zusätzlich bindet, kann einen großen Beitrag dazu leisten. „Der beste Versicherungsschutz gegen Waldbrände ist eigentlich ein gemischter, auch mit Laubbäumen angereicherter Wald, der möglichst grün ist“, fasst Dr. Jacob zusammen.
Hochwasser und Trockenheit gleichzeitig verhindern
In Soonwald war zusätzlich eine Anpassung des Wassermanagements notwendig. „Wasser ist eine sehr knappe Ressource, das ist mittlerweile überall deutlich spürbar. Auch die Hochwassergefahr durch Starkregen ist gestiegen“, erklärt Forstamtsleiter Leicht. „Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, haben wir uns der Wasserführung entlang von Waldwegen gewidmet und systematisch Maßnahmen ergriffen, die dazu führen, dass Wasser aus den wegebegleitenden Gräben in die Waldbestände abgeleitet wird.“
In kurzen Abständen hoben die Forstleute Gräben unter Waldwegen aus, die sie mit grobkörnigem Gestein füllten und durch die das Wassers in die umliegenden Waldbestände durchsickern kann. Am Einlauf dieser sogenannten Rigolen sorgen kleine Absetzbecken dafür, dass Schwebstoffe sich absetzen können und die Wasserdurchlässigkeit erhalten bleibt.
„Diese Investition lohnt sich nicht nur waldbaulich, sondern auch für die Wasserwirtschaft, da der Grundwasserspiegel steigt, Trinkwasser bereitgestellt und Hochwasserschutz betrieben wird. Und davon profitiert die Artenvielfalt, denn in den Absetzbecken fühlen sich wassergebundene Arten wie Amphibien wohl, deren Lebensraum knapper wird, wenn es trocken ist“, erläutert Dr. Jens Jacob.
Zukunft im Klimawandel ungewiss
Trotz der vielen Vorkehrungen wissen die Waldexperten, dass die Zukunft angesichts des Klimawandels ungewiss ist. „Es wird immer wieder erforderlich sein, dass man auf die Veränderungen in der Entwicklung unserer Waldökosysteme reagiert, indem man diese systematisch beobachtet, wissenschaftlich begleitet und die Erkenntnisse in das Waldmanagement einfließen lässt“, resümiert Dr. Jens Jacob. „Traditionelle Geschäftsmodelle, die auf Holzverkauf basieren, funktionieren im Klimawandel immer weniger. Gleichzeitig will die Gesellschaft natürliche Daseinsvorsorge im Wald sehen. Es liegt nahe, eine gute fachliche Praxis zu formulieren, wie das Zertifizierungssysteme tun.“
Zum Schluss bleibt die Frage nach dem Resümee aus mehr als zehn Jahren Erfahrung als zertifizierter Landesbetrieb. Würde man sich wieder zertifizieren lassen? „Wenn das die Frage ist, würde ich sagen: Ja, ein gesellschaftliche Glaubwürdigkeit vermittelndes, praxisgerechtes Zertifizierungssystem ist für den Forstbetrieb aus den bereits genannten Gründen von Nutzen. Aber es hat auch Kosten und über die muss man sprechen.“